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Opfer der Hochbegabung

Opfer der Hochbegabung
Nach meinem Beitrag „Was hat Zynismus mit Intelligenz zu tun?“ ging es mir gar nicht so gut. Wir leben in einer Zeit, in der Erkenntnisse nur so hernieder prasseln, wenn man sich dem Prozess stellt. Und hier geht’s ja darum, sich bewusst zu sein, wer man ist. Mir geht’s hier darum, meine Begründung klar zu sehen, die hinter gewissen, vielleicht als unschön eingeordneten Verhaltensweisen steckt. Was soll ich sagen? Mein Lebensplan sieht offenbar das Verstehen und Durchdringen des Phänomens der Spiegelungen als Aufgabe vor.

Wer auf meiner Website ab und an mal was liest, dem ist vielleicht aufgefallen, dass ich zu Zitaten und Quellenangaben neige. Einerseits ist es Anerkennung für den Urheber, der mich in dem Moment inspiriert, und gleichzeitig ein Tipp für dich, lieber Leser, zum Weiterforschen. Andererseits ist es eine Möglichkeit, meine eigenen Ansichten hinter fremden Worten zu verstecken und mich trotzdem mitzuteilen. Verantwortlich ist dann der Urheber, auch wenn ich ihn und keinen anderen aus gutem Grund wähle. Ist das feige? – Auch.

Eigentlich will ich heute über´s Opfer-Dasein schreiben. Über das Gefühl, nicht gesehen zu werden und auch nicht gesehen werden zu wollen. Wo kommt das her? Es ist ein Muster und die haben bekanntermaßen mehrere Ursachen: Kurz runter gebrochen auf „ererbt“ und „erworben“. Immer beides.

Es ist paradox! Mein erwachsenes Ich möchte mehr Sichtbarkeit, mehr Reichweite, mehr Erfolg im Business, letztendlich davon leben. Mein erwachsenes Ich weiß, was es tut, hat so viel gelernt und verstanden und kann grundlegend helfen. Aber mein kindliches Ich, auch bekannt als „das innere Kind“, hat absolut Angst davor, entdeckt zu werden. Es will einfach um gar keinen Preis auffallen, sich zeigen, gesehen werden. Im Alltag heißt das dann „Du hast ja gar keine Gefühle.“ (… obwohl ich seit 2010 Hochsensiblen-Treffen leite!) oder „Du bist lieblos und immer nur im Verstand.“ oder „Sprich doch mal von Herzen!“ Ganz ehrlich: Mein inneres Kind hasst „von Herzen“! Es könnte kotzen bei Herzensweichspüler! Es möchte panisch alles kurz und klein schlagen! Herzöffnung ist Todesgefahr!

Ich weiß, das klingt nicht sonderlich schön, ist nicht diplomatisch und wird auch als Beleidigung empfunden. Die Aussage ist wohl energetisch nicht sehr hoch schwingend. Und die Licht-und-Liebe-Fraktion, der ich im Innersten sogar angehöre, möchte sowas nicht. Man möchte sich in hoch schwingenden Energien baden, sich gegenseitig zu noch höheren Höhen aufschwingen.

Aber so läuft das bei mir nicht. Wir sind in der Polarität. Es gibt immer beide Extreme. Und je höher ich hoch will, umso tiefere Tiefen muss ich akzeptieren. Das Pendel schwingt in beide Richtungen gleichmäßig! Ich muss eine Sache erkennen und annehmen, um sie verändern zu können. Das ist Selbstermächtigung. Wenn ich den Klotz am Bein nicht anschauen will, weil er schwer und unangenehm ist, hilft mir auch kein Göttinnen-Bad in Milch und Lavendelblüten und kein Räucherwerk der Erde beim Aufstieg.

Also hinschauen! Was hat das innere Kind – ich bleib der Übersichtlichkeit wegen mal bei dieser Formulierung – ererbt und erworben, also erlebt, das dazu führte, um keinen Preis sichtbar werden zu wollen?

Das Erbe ist ja so eine Sache. Es sind nach den Erkenntnissen der Epigenetik nicht die Gene, die etwas hervorbringen, sondern es ist das Energiefeld, das die Muster bestimmt. Erst die feinstofflichen (Glaubens-) Strukturen, dann die grobstofflichen physischen Strukturen. Und dieses Energiefeld (vor allem jenes, in dem man sich als Kind bis zum Alter von 6-7 Jahren aufgehalten hat) muss jeder für sich selbst angucken – wobei ich gerne behilflich bin.

Die groben Eckdaten waren in meinem Fall: DDR-Kind vom Dorf, Handwerker- und Bauernfamilie. Da ist die Frauenrolle ziemlich klar vorgegeben – Mutter, Haushalt, aufbessern des Familieneinkommens durch Hilfsarbeiten – und das Interesse an intellektuellen Höhenflügen hält sich genauso in Grenzen wie die Fähigkeit dazu. Genau genommen sollte die Fähigkeit zum Selberdenken schon im Keim erstickt werden. Der gute DDR-Bürger sollte nicht selbst denken, sondern bereitwillig Rädchen im Getriebe sein. Nur, dass man angeborene Gaben und Talente eben nicht „tot“ kriegt. Ich glaube, es ist ne Zeile aus Bibi Blocksberg, als die Mutter 33 wird: „Was dir angeboren, geht nimmermehr verloren.“ Große Weisheit! Also wurde das zarte Pflänzchen Intelligenz bei jeder Gelegenheit abgewertet. Mir fällt grade ein Spruch aus meinem Poesie-Album ein, der sogar zweimal drin stand:
Sei wie ein Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein
und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.
Ich belass meine Ausführungen mal dabei. Ihr könnt ja selber denken. (Vor allem, wenn ihr bis hier hin dabei geblieben seid. 😉

Und hier kommt die Geschichte vom hässlichen Entlein zum Tragen. Man bemüht sich nach Kräften, Entlein oder Veilchen zu sein, weil einem keiner erzählt, dass man Schwan oder eben Rose ist. Völlig andere Fähigkeiten, Qualitäten, Bedürfnisse. Wie soll man sich da optimal und artgerecht entwickeln? Wie soll man da sein Potential leben? Wie soll man sein Potential überhaupt erkennen??? Immer hört man nur „Du bist ein schlechtes Veilchen! Gute Veilchen haben keine Dornen! Na warte, Dir werden wir die Dornen schon noch austreiben!“

Nur geht es nicht um ein Veilchen oder um eine Rose. Es geht um ein Kind! Es geht um das Kind, das ich war! Es war physisch versorgt. Essen, Klamotten, Dach überm Kopf… Aber seelisch wurde es misshandelt, ver-gewalt-igt. Ich will niemanden beschuldigen. Wir sind alle Opfer von Opfern. Man wusste es nicht besser, es waren andere Zeiten…

Und doch darf ich hier nicht aufhören, hinzuschauen! Es ist MEIN inneres Kind, es bin ICH, die Gewalt erlebt hat! Ich habe immer und immer wieder Abwertung, Ignoranz und Demütigung erlebt. Ich war ein Opfer der Umstände. Ich habe gelitten! Und vor allem war ich damit absolut unverstanden und allein! Das hat sich so tief verankert, während es gleichzeitig nicht gesehen wurde, dass es zu unschönen Konsequenzen führte.

Um´s nochmal ausdrücklich klar zu stellen. Es geht hier nicht um „wem ging´s schlechter“ oder um „wer ist schuld“. Es geht darum, an die wahre Ursache zu gehen, um anschließend heilen zu können. Die Wunde wahrnehmen, diagnostizieren, therapieren, mit dem Ziel anschließend befreit und selbstbestimmt zu sein, statt sich in unklaren Mustern verheddert abzustrampeln.

Weiter im Film. Man wächst also so lala in unwirtlicher Umgebung. Die Tage vergehen, die Jahre… An welchem Punkt geht das Licht an? Wo merkt man, dass man Rose ist? Und woran unterscheidet man, ob die eigenen Themen Veilchen- oder Rosen-Themen sind? Oder unglückliche Entstellungen, geschuldet dem Versuch, bloß nicht man selbst zu sein. Wie reagiert man, wenn man unvorbereitet immer wieder auf die Anschuldigung trifft, ein schlechtes Veilchen zu sein?

Als ich mit 33 Jahren von meiner Hochbegabung erfuhr, wusste ich nichts von Hochbegabung, was über das Wunderkind-Klischee aus wenigen Medienbeiträgen hinaus ging. Und damit konnte ich mich nicht identifizieren. Ich besorgte mir Bücher und fand mich auch darin kaum wieder. Weitere Tage, Monate, Jahre vergingen als erkannter Schwan im Ententeich. Ich wusste nicht, was Schwäne brauchen. Ich wusste nicht, wie Hochbegabte ticken. Ich wusste nicht, welche Stellschrauben ich hätte bedienen müssen, um mehr zu MIR zu werden. Ich hatte mir mühsam und schmerzvoll abtrainiert, auf jegliches eigene Bedürfnis, innere Stimmen oder gar Gefühle zu hören. Woher sollten also Antworten kommen? Wie findet man den Weg in ein selbstbestimmtes Leben? Wie gesteht man sich zu, dass man jetzt SELBST BESTIMMT, ohne verbrannte Erde zu hinterlassen? Man bleibt ja ein soziales, grundsätzlich fühlendes Wesen.

Ich habe gesucht, gelesen, versucht, Kontakte zu knüpfen. Aber Hochbegabung ist mit so vielen Komplexen verbunden, dass es absolut nicht leicht ist, voran zu kommen. Selbst der Mensa-Hochbegabten-Verein ist eine Ansammlung von liebenswerten Nerds, die sich allerdings weitgehend nicht öffentlich mit Selbstfindung auseinandersetzen.

Und dann bekam ich in einem 1:1-Business-Coaching gespiegelt, dass ich „auffällig stark in der Opferrolle feststecke“. Tipps zur Abhilfe: Fehlanzeige. Erschwerend kommt hinzu, dass der Verstand gewissermaßen jeden angebotenen Lösungsweg, jedes Standardtool sabotiert. Deshalb sind Hochbegabte auch bekannt für ihren Therapeutenverschleiß. Das Hirn arbeitet nach neueren Ergebnissen neurologischer Forschung einfach anders. Was nützen mir 100 Wege der Fahrradreparatur, wenn mein Auto komische Geräusche macht? Was nützt der Veilchendünger im Rosentopf?

Wie dem auch sei. Auf dem Weg der Selbsterkenntnis hab ich nach jedem verheißungsvollen Strohhalm gegriffen, hab Techniken und Tools gelernt (was mir eh leicht fällt – irgendwas Gutes ist ja in allem zu finden ;), geübt, für mich verworfen oder als tauglich erachtet… Darunter wichtige Dinge wie Gefühle bewusst fühlen und auch verstehen, innere Stimmen und Anteile hören und unterscheiden, Muster in Spiegeln erkennen und den artgerechten Umgang damit. Das hab ich so ausführlich gemacht, dass ich weiß, wovon ich rede und dass ich anderen – Dir? – gerne dabei Unterstützung sein kann und will.

Trotzdem kommen noch immer unbekannte Muster ans Licht, für deren Bearbeitung man sich erst mal wappnen muss. Muster des inneren Kindes, die vielleicht wenig zuträglich sind für die Ziele des Erwachsenen. Aber hey, dafür sind wir hier, oder?

Wie schließt sich nun der Kreis? Es ist mit Hochbegabung ein bisschen wie mit Magersucht. Man kann nicht verhindern, mit dem Auslöser des Leidens in Kontakt zu kommen. Alkohol und Drogen kann man aus dem Weg gehen. Essen muss man. Und als Hochbegabter ist man, egal wohin man geht, weitgehend umgeben von Menschen, die einem beim besten Willen nicht folgen können, die einen bei aller Liebe und allem Wohlwollen geistig verhungern lassen. Nicht emotional, das nicht. Und natürlich auch nicht physisch. Aber die Herausforderung, sich ein be-FRIED-igendes Umfeld zu schaffen, ist nicht ohne. Zumal es wenige adäquate Vorbilder gibt.

Ich für meinen Teil verstehe vollkommen, warum mein inneres Kind sich (unter anderem) als Opfer fühlt. Warum es manchmal hilfesuchend aufläuft und dementsprechend unsozial reagiert. Wohlgemerkt: Unsoziales Verhalten ist eine RE-Aktion. Das ist keine bewusste, böswillige Aktion. Ich nehm das Kind in den Arm und fühle mit ihm, damit die Schatten ans Licht kommen und wir dann gemeinsam bewusst und selbstbestimmt weiter unseren Weg gehen.

Verbundenheit statt Verdrängung.

Alles Liebe
Yvonne